PERSÖNLICHKEITEN JUDR. KARL SIEGL
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JUDr. Karl Siegl

Geburtsdatum: 6. November 1851
Sterbedatum: 18. Marsch 1943
Karl Siegl besuchte das Gymnasium in Eger und studierte an der juristischen Fakultät in Prag. Seit der Jugend interessierte er sich für die Geschichte und während seiner Prager Studien besuchte er auch Geschichtsvorlesungen an der philosophischen Fakultät. Dadurch konnte er professionelle Bildung in Geschichte sowie den historischen Hilfswissenschaften erwerben. Im Jahre 1874 trat er eine Stelle beim Landesbezirksgericht in Eger an und seine juristische Praxis übte er im Gefängnisgebäude aus, dem ehemaligen Klarissinnenkloster, in den Räumlichkeiten also, in die er durch ein merkwürdiges Zusammenspiel von Zufällen nach einigen Jahren als Archivdirektor zurückkehren sollte. In seiner Funktion des Gerichtsbeamten machte er sich durch einige Prozesse einen guten Namen. Im Jahre 1881 nahm er im Garten des Gefängnisses auch an einer der letzten Hinrichtungen in Eger teil. Eine schwere Magen- und Nervenerkrankung zwang ihn im Jahre 1895 vorzeitig in die Rente zu gehen. Als ihm jedoch in demselben Jahre der Egerer Bürgermeister Dr. Gschier die Stelle des Archivdirektors nach dem verstorbenen H. Gradl angeboten hatte, nahm Siegl nach einem längeren Zögern dieses Angebot an. Die Krankheit milderte sich, so dass er seines neuen Amtes bis zum Jahre 1934 walten konnte und mehreren Operationen sowie persönlichen Tragödien zum Trotz (1924 verstarb tragischerweise sein einziger Sohn Dr. Karl Siegl, Direktor der Studienbibliothek im österreichischen Klagenfurt) leistete er in dieser Funktion eine unglaubliche Menge Arbeit, die äußerst wertvoll war. Nach dem definitiven Weggang in die Rente widmete er sich noch einige Jahre wissenschaftlicher Tätigkeit und inmitten einer Überschwemmung von Würdigungen und persönlichen Auszeichnungen, durch die er von den Nationalsozialisten missbraucht wurde, starb er im Greisenalter von 92 Jahren.

Das Forschungs- und Arbeitsgebiet seines Lebens, zu dem Karl Siegl durch seine Natur am stärksten hingezogen wurde und wo er am besten seinen Fleiß und seine unerschöpfliche Vitalität verwerten konnte, waren die Arbeit im Archiv und das Studium der Regionalgeschichte. In vierzig Jahren ordnete er das Egerer Archiv in eine musterhaft zugängliche und wissenschaftlich nutzbare Form, erfasste Tausende Urkunden, gliederte den riesigen Reichtum am Aktenmaterial, versah die historisch relevanten mittelalterlichen Bücherreihen mit Registern und katalogisierte die alte Magistratsbibliothek. Das Grundinventar A, B, C (A – Urkunden, B – Schriften, C – Bücher) ergänzte er mit zahlreichen partiellen Katalogen und Inventaren und öffnete so den historisch wichtigsten Fonds des Egerer Archivs (Fonds 1 – Stadt und Land Eger) vielen Interessenten aus den Reihen der wissenschaftlichen sowie Laienöffentlichkeit. In die Siegls Amtszeit des Archivdirektors fällt auch der Umzug des Archivs aus dem Rudolphinum in das Gebäude des ehemaligen Klarissinnenklosters (1912), wo es bis heute seinen Sitz hat.

Karl Siegl schöpfte während seiner umfangreichen wissenschaftlichen sowie publizistischen Tätigkeit aus den Quellen des Egerer Archivs. Außer den größeren Werken schrieb er mehr als zweihundert Artikel in verschiedenste Zeitungen und Zeitschriften. Das Thema war fast ausschließlich die Geschichte Egers und des Egerlandes. Siegl erläuterte komplizierte staatsrechtliche Verhältnisse im Egerland (darin war er am stärksten mit dem zeitgemäßen deutschen Nationalismus konform), präsentierte einzelne Abschnitte der Geschichte des Egerlandes, zeigte die Wirkung bedeutender Persönlichkeiten, Schicksale von einzelnen Häusern, Straßen, Dörfern, Städtchen sowie Familien, brachte interessante Geschehnisse sowie kleinere Geschichten aus dem Alltag ans Licht. In ihrer Ganzheit stellten diese Arbeiten ein buntes Mosaik der Egerer Vergangenheit zusammen, das faktographisch wahrheitstreu war, denn Siegl ging ausschließlich vom Quellenmaterial aus. Die Editionen von einzelnen Quellen waren seine besondere Leidenschaft und obwohl man zu ihnen aus der Sicht der heutigen Praxis Einwände haben kann, besteht gerade in ihnen der größte Beitrag Siegls auf dem Gebiet der Wissenschaft. Viele Quellen wurden nämlich seit seiner Herausgabe nicht mehr neu bearbeitet und dienen heute deswegen als erste Quelle für die Erforschung der Egerer Vergangenheit. Die völlige Abwesenheit analysierender Auslegungen des Geschichtsprozesses stellt einen Mangel der historischen Arbeit Siegls dar. Deshalb konnte er auch die wichtigsten Momente und Entwicklungsbesonderheiten der Egerer Vergangenheit nicht erfassen und überschritt darin die Grenze des damaligen modischen Positivismus nicht.

In den Jahren 1895-1934 war Karl Siegl gleichzeitig Direktor des Egerer Museums und auch für diese Institution bedeutete seine Leitung eine neue Etappe, in der eine sinnvolle und notwendige Ordnung und innere Organisation beschlossen und ins Leben gerufen wurden. Obwohl er sich mit verschiedenen Fächern und Disziplinen auseinander setzen musste, die nicht zu seiner Spezialisierung gehörten, leitete er das Museum musterhaft und machte daraus ein vorbildliches Bildungsinstitut mit einer ganzregionalen Wirkung. In seiner Amtszeit wurden neue Expositionen moderner und konzeptioneller installiert, der Führungsdienst verbesserte sich und Siegl selbst war Autor eines neuen Sammlungskatalogs. Der allgemein gute Eindruck seiner Leitung wird auch durch die Tatsache verstärkt, dass er dem Museumsfonds seine eigene wertvolle Sammlung alter Teller geschenkt hatte.

Siegl engagierte sich neben den Arbeitsfunktionen auch im öffentlichen Leben seiner Stadt. Er gehörte zu den typischen und charakteristischen Figuren der Stadt Eger des Endes der k. und k. Monarchie und der 1. Tschechoslowakischen Republik. Die Öffentlichkeit kannte ihn als Kenner der Egerer Geschichte, las seine populären Artikel, begegnete ihm auf Vorträgen und verschiedenen Veranstaltungen, nahm ihn als etwas sonderbares, aber geachtetes und in seinem Bereich würdiges Mitglied der örtlichen Intelligenz wahr. Einen Masseneffekt hatte Siegls Beteiligung an den Egerer „Wallenstein-Spielen“ vor dem 1. Weltkrieg. Bei diesen Kostüm- und Theaterversuchen des Egerer Bürgertums um Erhebung des verblühten Ruhmes seiner Stadt wirkte Siegl als wissenschaftlicher Berater und geistiger Schöpfer des Programms.

Dieser bedachtsam ausschauende Herr mit einem „Walrossschnurbart“ und der unentbehrlichen langen Pfeife gehört zur Egerer Vergangenheit und sein Ehrenplatz ist in der Reihe der gewissenhaften Archivare der Stadt Eger zu finden. Man kann einiges gegen seine Ansichten und Einstellungen einwenden; dass er gegen die wissenschaftliche Wahrhaftigkeit bewusst vorgegangen wäre, kann ihm jedoch nicht unterstellt werden. Durch seine kompromisslose „ad fontes-Haltung“ wurde er zum ausdrucksvollsten Repräsentanten der zeitgemäßen positivistischen Wissenschaft im Egerland und in diesen Rahmen passt auch sein fast unglaublicher Fleiß, der als eine dauerhafte Herausforderung auch für die nächsten Generationen der Egerer Archivare da bleibt.
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